In der vergangenen Woche senkte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins von 4,5% auf 4,25%. Doch was bedeutet das für die deutsche Wohnungswirtschaft und insbesondere für die mineralische Baustoffindustrie?
Seit meinem Einstieg bei Hochtief im Jahr 1995 bin ich in der Bauindustrie tätig, inzwischen also fast 30 Jahre. 2007 gründete ich die FaMAS, und seither stehen wir in regelmäßigem Kontakt mit den bedeutendsten Unternehmen der mineralischen Baustoffindustrie im DACH-Raum. Wir haben persönlich mit über 2000 Führungskräften aus mehr als 500 Firmen gesprochen, darunter Branchenriesen wie Heidelberg Materials, Cemex, Holcim, CRH und viele mehr. Unser Fokus liegt dabei auf M&A-Strategien sowie der Markteinschätzung der Marktteilnehmer.
Interessanterweise steht der Rückgang im Wohnungsbau nicht bei allen an erster Stelle. Die in den Medien oft dramatisierten Berichte über die Wohnungsbaukrise spiegeln sich in den Führungsetagen der Unternehmen nicht wider. Dies liegt zum einen daran, dass die mineralische Baustoffindustrie nicht ausschließlich vom privaten Wohnungsbau in Deutschland abhängt. Bei Heidelberg Materials macht dieser beispielsweise nur etwa 20% des Umsatzes in bestimmten Regionen aus. Zum anderen sind viele dieser Konzerne zwar im DACH-Raum ansässig, erwirtschaften aber den Großteil ihres Geschäfts im Ausland. So erzielt Holcim, mit Sitz in der Schweiz, über 50% seines Umsatzes außerhalb Europas und hat kürzlich beschlossen, den nordamerikanischen Geschäftsbereich vom restlichen Unternehmen zu trennen, um dessen dynamische Entwicklung zu fördern.
Der deutsche Wohnungsbau hat für die mineralische Baustoffindustrie also nur eine vergleichsweise geringe ökonomische Bedeutung. Wichtiger ist das Thema CO2-Reduktion. Diese Priorität zeigt sich auch in den jüngsten Akquisitionen von Heidelberg Materials, die in Europa drei Unternehmen im Baustoff-Recycling übernommen haben, darunter zwei in Deutschland: die SER Group in Heilbronn und die RWG Holding in Berlin.
Viele mittelständische Unternehmen im DACH-Raum haben diesen neuen Fokus noch nicht vollständig erkannt, obwohl er sich seit mehreren Jahren abzeichnet. Die Kreislaufwirtschaft durchdringt viele Bereiche der großen Konzerne und Marktteilnehmer in ganz Europa. Auch Gespräche mit Unternehmen außerhalb der DACH-Region, wie CEMEX und CRH, bestätigen diese Tendenz, auch wenn sie nicht für alle die gleiche Bedeutung hat.
Zusammengefasst: Die Zinssenkung der EZB hat nach unserer Einschätzung keinen großen oder unmittelbaren Einfluss auf die deutsche mineralische Baustoffindustrie. Der Anstieg der Aktienpreise von Holcim und Heidelberg Materials in der letzten Woche dürfte also nicht durch die EZB-Entscheidung beeinflusst worden sein.